Editorial FUNKAMATEUR 5/2022
Die ES-Saison beginnt
Die übliche Ausbreitung elektromagnetischer Wellen im KW-Bereich läuft über die Bodenwelle oder die Ionosphäre ab, wobei die F-Schichteine Rolle spielt. In den wärmeren Monaten, etwa von Mai bis August kommt zusätzlich die sich tagsüber sporadisch ausbildende E-Schicht ins Spiel. Sie erlaubt dann praktisch auf dem 6-m-Band und etwas seltener auf dem 4-m-Band, mit viel Glück sogar auf dem 2-m-Band, das Erreichen weiter entfernter Ziele. Konkret sind Entfernungen von etwa 1000 km bis 2200 km an der Tagesordnung und das mit teilweise beachtlichen Signalstärken – siehe genauer in FA 4/2022 S. 302 f.
Dank der Ende 2020 erschienenen Verfügung Nr. 110/2021 der Bundesnetzagentur können auch Inhaber einer Zulassung zur Teilnahme am Amateurfunkdienst der Klasse E das 6-m-Band nutzen, nicht jedoch das 4-m-Band. Im wichtigeren Frequenzsegment von 50 MHz bis 50,4 MHz sind diesen sogar 100 W PEP erlaubt bzw. 750 W PEP für Klasse A, oberhalb für beide Klassen allerdings nur 25 W PEP. Es versteht sich wohl von selbst, die Leistungsgrenzen nicht zu überschreiten, um die Toleranz der Mitarbeiter der BNetzA nicht herauszufordern. Auf 70 MHz bitte außerdem beachten, dass die Leistungsangabe 25 W die effektive Strahlungsleistung ERP meint, also nicht PEP wie auf 50 MHz.
Die sporadische E-Schicht beeinflusst freilich auch die Ausbreitung auf den oberen KW-Bändern, insbesondere auf 15 m, 12 m und 10 m. Die starken Signale aus dem für KW-Verhältnisse eher nahen Umfeld mögen bei den ausschließlich am DX-Verkehr interessierten Funkamateuren durchaus für Unmut sorgen. QRP-Fans werden sich über die dadurch möglich werdenden Verbindungen eher freuen. Und DXCC-Gebietsjäger wissen es sicher zu schätzen, auf diese Weise Regionen erreichen zu können, die sonst in der Toten Zone zwischen den Einflussbereichen der Boden- und der Raumwelle liegen.
Zudem frohlocken nun Funkamateure mit eingeschränkten Antennenmöglichkeiten, denn bei den kräftigen Signalen genügen selbst einfache Antennen wie Dipol oder 1-Element-Quad, etwa in Form einer an der Balkonbrüstung befestigten Mobilantenne. Obendrein ist ja Portabelbetrieb ausdrücklich erlaubt, denn der BNetzA geht es lediglich darum, dass die Funkstelle während des Funkbetriebs nicht bewegt wird. Das schließt also nur den Mobilbetrieb während der Fahrt des Kfz aus. Genaueres hierzu in der Postbox auf S. 342.
Der zufällige und mitunter sehr kurzzeitige Charakter von ES-Öffnungen gebietet es allerdings, auf jegliche Art von Klönschnack zu verzichten. „Fasse Dich kurz“ ist oberstes Gebot! Ein nur wenige Buchstaben umfassender Funkname ist dabei hilfreich und statt eines mühsam zu buchstabierenden Ortsnamens genügt der Locator, am besten auf die ersten vier Zeichen beschränkt. Digimodes wie FT8 sind hier übrigens eher kontraproduktiv, denn die Signale sind wie erwähnt meist kräftig und ein QSO in SSB ist viel schneller getätigt, sodass andere auch noch eine Chance bekommen.
Abschließend bleibt mir nur noch, Ihnen buchstäblich viel Glück zu wünschen – vielleicht kommt ja der eine oder andere durch ES zum „QSO seines Lebens“!
Dr.-Ing. Werner Hegewald, DL2RD
Chefredakteur