Solare Geschichtsforschung
2022-06-14
Bedeutende Auszeichnung für Göttinger Forscher
Das Scientific Committee on Solar-Terrestrial Physics (SCOSTEP), ein Gremium des internationalen Wissenschaftsrats (ISC), hat Dr. Theodosios Chatzistergos vom Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) mit dem diesjährigen Distinguished Young Scientist Award ausgezeichnet. Mit diesem Preis würdigt das Gremium die Beiträge des jungen Forschers zur Rekonstruktion vergangener Aktivitäts- und Helligkeitsschwankungen der Sonne.
Chatzistergos ist es unter anderem gelungen, mehr als 100 Jahre alte, historische Beobachtungen sogenannter Sonnenfackeln, besonders heller Gebiete auf der Sonne, zu diesem Zweck nutzbar zu machen. Die Ergebnisse helfen zu verstehen, wie stark die Aktivität und die Helligkeit der Sonne in vergangenen Zeiten variiert hat – und ob dies das Klima auf der Erde beeinflusste.
Wissenschaftliche Rückschau
Um den Einfluss der Sonne auf das irdische Klima zu verstehen, braucht es mehr als eine Momentaufnahme. Vielmehr ist es nötig, soweit wie möglich zurückzuschauen – sowohl auf die Klimaveränderungen, die sich auf der Erde vollzogen haben, als auch auf die wechselhafte Aktivität der Sonne. Allerdings ist solare Geschichtsforschung dieser Art schwierig: Die entscheidende Größe, die Intensität der Sonnenstrahlung, die außerhalb der Erdatmosphäre auftrifft, kann erst seit 1978 mithilfe von Satelliten gemessen werden.
Zum Glück offenbart sich die Aktivität unseres Sterns aber auf vielfältige Weise. Ursächlich für die Schwankungen der Strahlungsintensität ist ein ständiges Entstehen und Verschwinden dunkler und heller Bereiche, genannt Sonnenflecken und -fackeln, auf der sichtbaren Oberfläche der Sonne. Beide Phänomene werden vom dynamischen Magnetfeld der Sonne angetrieben und treten häufig auf, wenn die Sonnenaktivität hoch ist. In Zeiten geringer Aktivität kommen sie entsprechend deutlich seltener vor.
Die dunklen Sonnenflecke sind mit einfachen optischen Hilfsmitteln von der Erde aus erkennbar; ihre Anzahl zeichnen Astronominnen und Astronomen seit 1609 auf. Die Sonnenfackeln hingegen lassen sich schwerer greifen. Ihren Einfluss auf Schwankungen der Strahlungsintensität der Sonne detailliert und über einen möglichst langen Zeitraum zu berücksichtigen, ist Ziel der Arbeiten von Dr. Theodosios Chatzistergos.
Von Flecken und Fackeln
Sonnenflecken und -fackeln zeigen sich oft in enger zeitlicher und räumlicher Nachbarschaft. In bisherigen Rechnungen wurde deshalb oft angenommen, dass sich aus historischen Aufzeichnungen von Sonnenflecken auf die Anzahl und Fläche der Sonnenfackeln schließen lässt. „In perfektem Gleichtakt verläuft das Zusammenspiel von Sonnenflecken und Sonnenfackeln jedoch nicht“, gibt Chatzistergos zu bedenken. Deutlich genauere Informationen zum Auftreten von Sonnenfackeln liefern Aufnahmen der Sonne, bei denen violettes Licht einer speziellen Wellenlänge betrachtet wird. Es wird von ionisierten Kalzium-Ionen in den besonders heißen Regionen oberhalb der Sonnenfackeln emittiert. Messungen dieser Art gibt es seit 1892, allerdings nicht durchgängig von ein und demselben Observatorium.
Mithilfe historischer Fotografien der Sonne konnte Chatzistergos nun erstmals ein Archiv der Sonnenaktivität erstellen, das auf Beobachtungen von Sonnenfackeln beruht und das gesamte 20. Jahrhundert umfasst. Der Göttinger Sonnenforscher hat die verschiedenen Sonnenfackel-Datensätze aus fast allen Regionen der Erde gesammelt, zusammengeführt und so erstmals als langfristiges Archiv solarer Aktivität nutzbar gemacht. Entstanden ist ein Datenschatz, der das Verhalten der Sonne über das gesamte 20. Jahrhundert abbildet.
Aus Daten dieser Art lassen sich die Magnetfelder an der Oberfläche der Sonne und daraus die Intensitätsschwankungen der Sonne berechnen. Wie der Forscher bereits zeigen konnte, stimmen diese Berechnungen für die vergangenen Jahrzehnte gut mit den tatsächlich im Weltraum gemessenen Intensitätsschwankungen überein.
MPS Göttingen
Red. FA/-joi