Editorial FUNKAMATEUR 10/2024
100 Jahre, aber IFA?
Eine Hundertjährige verdient allen Respekt und die allerherzlichsten Glückwünsche. Das trifft auf Menschen zu und gilt ebenso für eine Fachmesse. Doch wer oder was wurde da auf dem Berliner Messegelände eigentlich gefeiert? Eine glänzende, längst vergangene Institution, die mit der Messe 2024 absolut nichts mehr gemein hat.
Eine europäische oder gar deutsche Unterhaltungselektronik-Industrie gibt es nicht mehr in nennenswertem Umfang. Die einst führenden Konzerne setzten vor 25 Jahren auf die Globalisierung und verlagerten ihr Geschäft so weit nach Asien, dass heute nur noch die vertrauten Markennamen geblieben sind.
Auch von der IFA blieb nur ein Name übrig, inhaltlich ist diese Messe von ihren Ursprüngen Lichtjahre entfernt, leider ebenso von der einstigen Erfolgsidee. Was im Jahre 1924 als Große Deutsche Funk-Ausstellung begann, erwies sich als grandiose Erfolgsgeschichte: Hier wurden Erfindungsreichtum und industrielle Leistungsfähigkeit gezeigt, hier wurden Privatbesucher motiviert, sich mit der neuen Technik, repräsentiert durch den Hörfunk und später das Fernsehen, zu beschäftigen und die entsprechenden Endgeräte auch zu kaufen und zu nutzen. Was bescheiden als eine nationale Funkausstellung begann, wuchs langsam, aber stetig zu einer über die deutschen Grenzen hinweg beachteten Messe. Kaum ein Unternehmen der Unterhaltungselektronik konnte es sich leisten, hier nicht auszustellen, wollte es auf dem Markt bestehen. Die Internationale Funkausstellung, kurz IFA, wurde zum Schaufenster weltweiter Unterhaltungselektronik. Ja, das waren noch Zeiten …
Paradoxerweise begann der Niedergang der IFA vor etwa 30 Jahren gleichzeitig mit ihrem rasanten Wachstum: Wichtige Aussteller zogen sich zurück und wandten sich kleinen, feinen Spezialmessen zu, etwa der Car & Sound und der Anga Cable (heute Anga Com), um nur zwei zu nennen. Schiere Größe ist nicht alles, das richtige Publikum will auch angesprochen sein, was im Kleinen oft besser gelingt.
Die IFA blieb IFA, wenn auch ohne Auto-HiFi, ohne Kabel-, Satelliten- und Breitbandtechnik, bald auch ohne die Rundfunkanstalten, deren Messeprogramme immer ein Besuchermagnet waren. Dem setzten die Messeveranstalter eine rotperückte Kunstfigur namens Miss IFA entgegen, die aus der virtuellen Welt in die Realität sprang und auf Messeständen sowie bei Produktvorstellungen freundlich lächelte. Die Langform des Kürzels IFA war jetzt verpönt, weil die Messe ja mehr als „Funk“ bieten wollte.
Was an Klasse fehlte, wurde durch Masse ersetzt. Zahllose Kleinststände asiatischer Anbieter belegten die Flächen, so dass die absolute Zahl der Aussteller deutlich wuchs. Dann kam Corona, und es zeigte sich, dass es auch ohne Messe ging, was sich noch bis heute auswirkt.
Aus der IFA wurde in diesem Jahr „Innovation Für Alle“, was immer das heißen mag: Es ist wohl eine Rolle rückwärts, hin zu einer Gemischtwarenmesse. Dass sich Messeinhalte wandeln, hängt mit der technischen Entwicklung zusammen, doch bedeutende „Innovationen für alle“ fanden wir beim Messebesuch nicht, auch nicht bei den gefühlt 20000 chinesischen Kleinstausstellern. Statt wichtiger Neuheiten feierte sich die gfu als Veranstalter lieber selbst – mit dem 100. Geburtstag einer einst attraktiven Messe.
Wolfgang E. Schlegel